Im nasskalten Mai 2019 setzte ich meine Wanderung rund um Deutschland fort. Ich begann, wo ich im Jahr zuvor endete: in Straßburg.
Wieder sah ich das Münster nur aus der Ferne. Stadtbummel mit Marschgepäck kostet zu viel Kraft.
Der Mann am Info-Schalter im Hauptbahnhof erklärte sich für unzuständig, wenn jemand – also ein Fernwanderer wie ich - die Stadtgrenze zu Fuß überschreiten will. Meinen Radweg am Canal de la Bruche entlang Richtung Vogesen kannte er nicht. Tipp: Vom Bahnhof wenige Hundert Meter südöstlich zum Ill-Ufer, bis der Ill-Radweg auf den Kanal trifft. Hinterher ist man oft klüger. Auf Info-Points sollte man sich nie verlassen. Dazu später mehr.
Irgendwie schaffte ich es dann duch die Vororte doch zum Canal de la Bruche, der bei Soultz-les-Bains an Molsheim vorbeiführt. 1782 verkehrten hier bis zu bis zu 950 Schiffe. 1938 war Schluss. In Molsheim, die alten Bischofsstadt und Wiege der Bugatti Sportwagen, traf ich endlich auf den Radweg der elsässichen Weinstraße (Route de Vin). Das ist auch zu Fuß die sinnvollste Route am Osthang der Vogesen durch den Süden des Elsass.
Bei Kolbsheim übernachtete ich am Canal de la Bruche.
Noch herrschte Sonnenschein.
Bilderbuchwetter! Quod erat demonstrandum.
Rennradler fegten an mir vorbei.
Der Canal de la Bruche (links) trifft die aus den Vogesen kommende Bruche.
Ehemalige Schleuse am Canal de la Bruche.
Jakobswegpilger auf dem Weg zur Tränenkapelle auf dem Mont Saint-Odilé, wie sie mir am nächsten Tag in Rosheim erzählten.
Auf dem Weg nach Molsheim ...
… mit Blick auf die Vogesen. Molsheim liegt etwa 30 Kilometer westlich von Straßburg und zehn Kilometer nördlich von Obernai. Die Stadt war ein Zentrum der Rekatholisierung des Elsass durch die Niederlassungen der Jesuiten.
Dorlisheim südlich der Kernnstadt Molsheim wurde durch den Automobilhersteller Ettore Bugatti (1881–1947) bekannt, der hier von 1910 seine Fabrik hatte. Von 2005 bis 2011 wurden dort von der zum Volkswagenkonzern gehörenden Bugatti Automobiles S.A.S exklusive Sportwagen in kleinen Stückzahlen hergestellt. Der unscheinbare Ort zog sich endlos. Hinter der Schnellstraße begannen Spargel- und Weinfelder. Erste Tropfen kündigten den erwarteten Wetterumschwung an. In der Dämmerung baute ich auf einem Grünstreifen im Schutz eines Baumes mein Tarp auf. Einfach war das nicht. Die dünne Nylon-Haut flatterte im starken Wind, die Erndnägel waren in der Dunkelheit und dem hohen Gras kaum zu sehen. In den trockenen Boden wollten sie auch nicht.
Am frühen Morgen weckten mich freundliche Spargelbauern, die frischen Spargel für den Markt stachen..
Blick hinunter zum Oberrheingraben.
Blick Richtung Vogesen vom Elsässer Wein-Radweg vor Rosheim.
Rosheim. Von 1871 bis zum Ende des Ersten Weltkrieges gehörte auch Rosheim als Teil des Reichslandes Elsass-Lothringen zum Deutschen Reich. Die politischen Grenzen, die das Elsass definieren, haben sich im Verlauf seiner Geschichte mehrfach geändert. Seit dem 17. Jahrhundert wechselte das Elsass mehrmals die politische Zugehörigkeit zwischen dem Heiligen Römischen Reich bzw. Deutschen Reich und Frankreich. Seit dem Frühmittelalter sind im Elsass germanische Mundarten beheimatet. Sie werden heute unter dem Begriff „Elsässisch“ zusammengefasst. Im Verlauf meiner Wanderung werde ich auf den Elsässische Dichterweg treffen. Zur Kostprobe ein Kurzgedicht von Lilliane Bertolini (Colmar 1952):
„scham dich! / im versteck / hesch g'redt / im hain / hinter d'r heck / daheim / unter d'r deck / hesch mich g'nannt / „min harzala / min misala / min lisala“ / awwer drussa
uf d'r stroß / bisch dü gsìì / wia lütlos / stumm / vo unsra sproch / un hesch mich gefrojt: / „mademoiselle, / parlez-vous francais?“
Das Französische gewann zwischen dem 16. und 20. Jahrhundert sukzessive an Gewicht. Die französische Sprachpolitik zwischen 1918 und 1940 war streng gegen die deutsche Sprache bzw. den elsässischen Dialekt ausgerichtet. Die französische Sprache wurde als verbindliche Amts- und Schulsprache eingeführt. Während der Besetzung durch das nationalsozialistische Regime Deutschlands zwischen 1940 und 1944 erlebte das Elsass erneut eine Steigerung an restriktiver Sprachpolitik. Diese war rücksichtslos an die NS-Ideologie angepasst. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Französisch zur Verkehrs-, Amts- und Schulsprache. Kenntnisse bzw. vor allem aktiver Gebrauch der autochthonen alemannischen oder fränkischen Dialekte (zusammengefasst im Begriff Elsässisch) oder des Standarddeutschen sind daher stark rückläufig und zunehmend auf die ältere Generation beschränkt. Wie das in Straßburg ansässige Office pour la Langue et Culture d’Alsace (OLCA, „Amt für Sprache und Kultur im Elsass“) angibt, bezeichneten sich 2013 noch 43 % (2001: 61 %, 1997: 63 %) der Befragten einer Studie als „dialektsprachig“ (dialectophone) – das entspräche etwa 800.000 Einwohnern.
Obernai liegt am Fuß des Odilienbergs (Mont Sainte-Odile). Der Odilienberg ist heute der bedeutendste Wallfahrtsort im Elsass.
Die Bewohner von Obernai nennen den Ort Ewer'nahn, jedoch sind weitere elsässische Bezeichnungen wie Ewer'nah, Ower'nah, Ower'nahn oder (in Straßburg) Ower'näh bekannt. Der Neckname für die Einwohner lautet Zanefbieche (deutsch „Senfbäuche“).
Obernais neugotische Kirche Saints-Pierre-et-Paul (im Bild) wurde 1867–1872 errichtet und ist eines der größten neugotischen Gotteshäuser im gesamten Elsass.
Vogesen hinter Obernai. Gegen das, was sich hier vor den Vogesen zusammenbraute, half kein Regenschirm.
Q.e.d.: Wolkenbruch hinter Obernai.
Unter der Brücke wurde es bald eng. Und trocken blieb es auch nicht. Im Bild: Multifunktionswerkzeug. Ohnehin hatte ich Badeschlappen dabei.
In Goxwiller mietete mich kostenneutral im Unterstand der Boule-Spieler*innen ein. Nachts weckten sie mich und fragten besorgt nach meinem Befinden. Im Schein der Taschenlampe murmelte ich nicht unbedingt wahrheitsgemäß „Très bon!“ Nun ja: Immerhin lag ich im Trockenen. Und das war sehr gut. Am frühen Morgen traf ich auf der – erfolglosen – Suche nach dem Friedhof (Wasserloch) auf diese alte Weinpresse. Wasser gab es für den Rest des Tages reichlich: von oben.
Ziemlich alte Butze in Goxwiller. Pitoresk!
Vogesenblick hinter Goxwiller.
Wasserwanderer Guido Block-Künzler.
Rad-Wegweiser hinter Goxwiller. Die Elsässer Weinstraße (französisch Route des Vins d'Alsace) ist eine der ältesten Touristenstraßen in Frankreich. Sie wurde 1953 auf den Osthängen der Vogesen eingerichtet. Parallel zur elsässischen Weinstraße, schlängelt der Radweg teilweise auf stillgelegten Bahntrassen, Abschnitten der ehemaligen Römerstraße und durch ruhige Weinberge.
Regen für die Riesling-Reben.
An diesem Tag ruhte sich die Sonne aus.
Jedenfalls kam ich nicht ins Schwitzen!
Da irgendwo muss der Odilienberg (Mont Sainte-Odile) sein - das Ziel der Pilgerer vom Canal de la Bruche. Sie sitzen jetzt sicher bei einem Gläschen Wein am offenen Kamin.
In Mittelbergheim liegt die Alsace Grand Cru-Lage Zotzenberg. Hier wird ein im Elsass so genanntes Weinschlagbuch, in dem die Weinpreise und die Bedingungen des Weinbaus eingetragen werden, lückenlos seit 1456 geführt.
Typischer Winzerhof in Mittelbergheim.
Blick durch die Weinberge nach Eichhoffen.
Blick von Süden auf Andlau.
Blick auf den Oberrheingraben hinter Andlau.
Weinberge bei Andlau.
Genießen Sie dieses Photo. Es ist das letzte Bild von meiner Elsass-Tour. Selbst der alte Trick mit den Akkus in den Hosentaschen funktionierte nicht.
In Colmar war vorerst Endstation. Nachdem mich die freundliche aber leider völlig unwissende Dame vom Tourismusinfo sehr selbstbewusst durch ein nicht enden wollendes Industriegebiet zu einer nicht vorhandenen Brücke schickte, gab ich meinen Plan auf, über die Radroute am Canal du Colmar via Breisach zumindest bis Freiburg zu kommen. Von dort wollte ich den Wiiwegli durch das Markgräfler Land nach Basel laufen. Statt dessen schleppte ich mich mit letzter Kraft zum weit außerhalb des Zentrums liegenden Bahnhof. Immerhin kam ich noch vor Mitternacht an. Allerdings musste ich feststellen, dass die Züge nur in drei Richtungen fahren. Meine war nicht dabei. Auf dem menschenleeren Bahnhofsvorplatz fand ich schließlich den Bussteig Richtung Breisach. Todmüde schlief ich ein. In Breisach gab es Schinenersatzverkehr. Dies bedeutete für mich: Übernächtigt, mit Rucksack stehend in einem hoffnungslos überfüllten Gelenkbus durch den Kaiserstuhl geschleudert zu werden. Bei dieser Gelegenheit stellte ich fest, dass Freiburg ziemlich hoch über dem Oberrheingraben liegt. Immerhin: Ich musste nicht laufen.
Bildquelle: Wikipedia_Urheber_Tizianok_CC-BY.SA-3.0 (Hinter Andlau machte mein Akku schlapp, die beiden Ersatzakus verweigerten ihre Arbeit und der tonnenschwere Solarakku hatte den falschen Anschluss).
Weiter Richtung Basel im Herbst 2019
Die Wetteraussichten waren eher durchwachsen, als ich Herrn Heiland von der Wetzlaer Neuen Zeitung Anfang Oktober vollmundig erklärte, ich würde nochmal losziehen. Ich bin nicht der Mann, der für Geschwätz bekannt ist. Am frühen Morgen des 15ten Oktober, einen Tag nach meinem Geburtstag, setzte ich mich in den Zug und fuhr von Wetzlar nach Freiburg - um von dort auf (tatsächlich eher parallel mäandernd) dem "Wiiwegli" Richtung Basel zu laufen.
Rathausplatz in Freiburg
Erstsemesterfete im Regen.
Auf dem Weg zum Einstieg in den Markgräfler Weinweg ("Wiiweglii" sagt vor Ort kein Mensch! Das ist Marketing-Sprache!) im Stadtteil St. Georgen sah das "sich in die Büsche schlagen" wenig romantisch aus: Gegen 22.00 Uhr erreichte ich im teils heftigen Dauerregen die Güterbahnbrücke. Schwerlastzüge donnerten über meinen Kopf, immer noch starker Autoverkehr rollte an mir vorbei.
HAUPTSACHE IM TROCKENEN! Müde war ich, ging trotz des Höllenlärms zur Ruh: Nasse Isomatte auf den Teer, superleichter Sommerschlafsack in den Biwaksack, ich in vollen feuchten Klamotten samt Wanderstiefel hinterher, Kopf auf den durchnässten Rucksack. Sekunden später war ich in einer anderen - besseren - Welt.
Endlich gefunden (Wegweiser: gelbe Weintraube auf roter Raute) – und zudem noch blauer Himmel. Mehr geht nicht.
Der ausgeschilderte Weg führt durch diesen Wald.
Ich wollte jedoch die letzten warmen Tage des Herbstes geniessen und ging parallel dazu durch die Weinberge.
Blick auf die dem Schwarzwald gegenüberliegenden Vogesen.
Blick hinüber zum Kaiserstuhl.
Und dann ging es doch durch den Wald.
Blick zurück nach Freiburg. In der Bildmitte der Turm des Münster mit „dem schönsten Turm der Christenheit“. Es wurde von etwa 1200 bis 1513 erbaut und ist im romanischen Stil begonnen und größtenteils im Stil der Gotik und Spätgotik vollendet worden.
Und weiter ging ich durch endlose Weinberge – immer im Blick: die Vogesen.
Nochmal Blick zurück nach Freiburg.
Goldener Oktober.
Wanderer hoch über Leutersberg.
Blick auf Leutersberg.
Weinberge. Wer hätte es gedacht!
Weinberge sind im Markgräfler Land nicht selten. Q.e.d..
Ebringen. Der Ort liegt in einer ansteigenden Talmulde des 644 m hohen Schönbergs, ist nach Westen und Süden zur oberrheinischen Tiefebene offen und bietet damit dem Weinbau ideale Bedingungen.
Protest der Winzer gegen das Volksbegehren zum Artenschutz.Mit grünen Mahnkreuzen in den Weinbergen protestieren Winzer und Obstbauern gegen die Forderungen im Volksbegehren Artenschutz "Rettet die Bienen".
https://volksbegehren-artenschutz.de
Zwischen Ebringen und Pfaffenweiler.
Blick zurück nach Norden..
Sonnenuntergang hinter dem Grand Ballon (links im Bild). Der ist mit 1424 Metern Höhe der höchste Berg der Vogesen. Vom Gipfel aus hat man zuerst den Ausblick auf die Rheinebene mit Mülhausen, Basel, Freiburg im Breisgau und Colmar, darüber hinaus auf den Schwarzwald und den Jura, sowie bei günstigen Wetterbedingungen auf die Alpenkette vom Säntis bis zum Mont Blanc.
Unterdorf von Pfaffenweiler. Die Haltestelle rettete mich vor dem Regen im Morgengrauen.
Nebenan lag das Weingut Huy ...
… mit Straußwirtschaft. Das ist ein von Winzern und Weinbauern saisonal oder tageweise geöffneter Gastbetrieb, in dem die Erzeuger zu bestimmten Zeiten ihren selbsterzeugten Wein direkt vermarkten.
Regional sind folgende Begriffe für diese Gastronomieform verbreitet: In Deutschland Straußenwirtschaft (im Rheinland und in Rheinhessen), Besenwirtschaft, Besenschänke oder kurz Besen (in Württemberg), Kranzwirtschaft (in Baden), Rädle und Rädlewirtschaft (in der Bodenseeregion) sowie Hecken-, Häckerwirtschaft oder Maienwirtschaft (in Franken).
Zwischen Pfaffenweiler und Kirchhofen. Maria Magdalena ist auch Schurtpatronin der Winzer. Luise Rinser zeichnet in ihrem Roman Mirjam ein sehr feministisches Bild Maria Magdalenas.
Blick auf das ausgedehnte Weinanbaugebiet zwischen Pfaffenweiler und Kirchhofen.
Auch Kürbisse gedeihen im Markgräfler Land prächtig ...
… und das Rohmaterial für die berühmten Edelbrände aus dem Schwarzwald.
Auf weniger ertragreichen Flächen wird auch Mais angebaut.
Radweg nach Staufen.
Blick auf die Steilhänge des Schwarzwaldes.
Burgruine Staufen. Mit Georg Leo von Staufen erlosch 1602 das Geschlecht der Herren von Staufen. Seit 1607 war die Burg nicht mehr bewohnt. Die unverteidigte Burg Staufen wurde im Dreißigjährigen Krieg von schwedischen Truppen besetzt, die sie 1632 niederbrannten und zerstörten.
Marktplatz von Staufen im Breisgau. Die Stadt liegt auf der Schwarzwaldrand-Verwerfung als tektonischer Grenze zwischen kristallinem Grundgebirge, das glazial überformt ist, und dem Oberrheingraben.
Staufen schmückt sich mit der Bezeichnung Fauststadt. Der verschuldete Burgherr Anton von Staufen soll nämlich den sagenumwobenen Alchemisten, Astrologen und Schwarzkünstler, der von Johann Wolfgang von Goethe in der Tragödie Faust beschrieben wird, als Goldmacher angestellt haben. Faust soll im Jahr 1539 in einem Zimmer im Gasthaus Löwen (am Marktplatz) bei einer Explosion, wohl bei einem alchemistischen Experiment, ums Leben gekommen sein.
Der Peter-Huchel-Weg führte mich auf dem „Wiiwegli“ (gelbe Traube vor roten Hintergrund) aus Staufen heraus nach Gruenen. Der Berliner wohnte die letzten zehn Jahre seines Lebens in Staufen und starb hier am 30.04.1984.
Zwischen Staufen und Gruenen auf dem "Wiiwegli". Bereits in Staufen begann der Dauerregen. Er sollte bis zum frühen Morgen anhalten. Wohl dem, der ein Dach findet!
Bauerngarten am Wegesrand. Mit der Schrift Flora der Bauerngärten in Deutschland von Anton Kerner aus dem Jahr 1855 wurde der Begriff des „Bauerngartens“ als Typus eingeführt. Der entsprach allerdings nicht einer gärtnerischen Realität, sondern gründete mehr in „tümelnden“ romantischen Vorstellungen des späten 19. Jahrhunderts. Die Idee verselbständigte sich, so dass erstmals 1913 ein scheinbar authentisch nachempfundener Bauerngarten im Botanischen Garten Hamburg Einzug hielt. Eine wissenschaftlich definierte eigenständige Gartenform war er nie.
Historische Weinpresse aus dem Jahr 1578 in der Dorfmitte von Gruenen.
In einem Wartehäuschen an der B 3 hinter Gruenen trank ich mir mit einer Flasche GUTEDEL (was sonst?) das Wetter schön.
Sowieso. Genau. Gutedel (in Frankreich und in der Schweiz Chasselas, im Wallis Fendant genannt) ist eine alte Weißwein- und Tafeltraubensorte, die weltweite Verbreitung gefunden hat. Heute ist die Verwendung der Rebsorte sowohl für die Wein- als auch für die Tafeltraubenproduktion weltweit rückläufig. Eine nennenswerte Weinproduktion mit Gutedel hat sich in der Westschweiz und im Markgräflerland in Süddeutschland erhalten. Der Name ‘Gutedel’ weist auf die frühe Wertschätzung hin, auf „gut“ und „edel“.
Am nächsten Morgen sah es zunächst nicht nach Wetterbesserung aus.
Gegen Mittag jedoch klarte vor Ballrechten der Himmel auf. Blick zurück Richtung Staufen.
Blick vom Markgräfler Radweg Richtung Sulzburg-Laufen.
In Laufen rettete ich mich vor Wolkenbruch und Gewitter in den Verkaufsraum der örtlichen Winzer*innen, wo ich eine kleine Flasche Ruhländer ("Pinot gris" - in Deutschland auch unter Grauburgunder bekannt.)Auslese als Mitbringsel entgegen der Warnungen meines Verstandes erstand. „Musst Du auch noch schleppen.“ Die Verkäuferin war supernett und wir unterhielten uns kurzweilig.
Hinter Laufen auf dem Weg nach Müllheim.
Vor Müllheim hatte ich für kurze Zeit wieder blauen Himmel. Ganz so, als ob nichts gewesen wäre. Vor mir warten die Auslesen auf ihre Ernte
Die Trauben aus der Nähe.
Blick auf Badenweiler nordöstlich von Müllheim.
„Nai hämmer gsait! Keine Markgräfler Mauer. Die Bundesbahn will eine schallgeschützte Trasse durch das Markgräfler Land bauen. Während die Stuttgarter vergeblich „oben bleiben“ forderten, ist hier das Motto: „Je tiefer, desto besser.“ Zu recht! Die DB-Planungen würden bei Realisierung die unvergleichlich schöne Landschaft zerteilen. Schluss damit. Genug damit. Es gibt Alternativen für die mobile Gesellschaft.
In Müllheim fing es zunächst mit leichtem Regen an. Dabei blieb es nicht. Nur mit Mühe und fremder Hilfe fand ich aus der Stadt heraus zum Radweg Richtung Auggen. Der verläuft neben den B 3. Dort rettete mich diese Haltestelle davor, bis auf die Knochen nass zu werden (Schnupfen, Erkältung, Bronchitis, Lungenentzündung, Exitus). Am nächsten Morgen wurde der Regen eher noch stärker. Während ich meine Sachen packte gesellte sich die einzig Wartende zu mir (ihr Smartphone machte meine Hoffnung auf wetterbesserung zunichte!) und bot mir eine Brezel an. Wir kamen ins Gespräch. War kurzweilig und vertrieb den Regen für eine Weile. Danach stieg sie in den Bus, der sie in ihre molligwarme beheizte und trockene Wohnung führte – und ich ritt beziehungsweise lief - dem Sonnenaufgang (lonesome rider) entgegen. Er (der „Ritt“) führte mich zunächst zum örtlichen PENNY-Markt. Es war schließlich Samstag. Der ordinäre Hunger treibt auch Abenteurer in die Fänge des Kapitalismus, denn auch Abenteurer wollen essen.
Vor Auggen wünschte ich mir mein Boot herbei.
Alte Weinpresse vor dem Winzerkeller „Augener Schäf“. Etwa 250 Winzerfamilien bestellen heute die gut 350 Hektar große Rebfläche der Lagen „Auggener Schäf“ und „Auggener Letten“. Natürlich steht in Auggen die regionale Spezialität Gutedel im Mittelpunkt des Geschehens, jener bekömmliche, feinfruchtige Weißwein, der deutschlandweit ausschließlich im Markgräflerland beheimatet ist. Dass diese Rebsorte das ganz besondere Steckenpferd des Kellermeisters ist, zeigt die Tatsache, dass der Winzerkeller beim Gutedel-Cup regelmäßig ganz vorne mitmischt und diesen seit dem Jahre 2000 bereits sechsmal mit dem 1. Platz für sich entscheiden konnte.
Tieflage. http://www.bbmgl.org/ :“Wir wollen keine sechs Meter hohen Schallschutzwände, die unser Mikroklima kaputt machen und uns gleichzeitig die Sicht nehmen. – Keine Teilung des Markgräflerlandes durch eine „Berliner Mauer“! Wir wollen auch nachts unsere Fenster öffnen können, ohne von Bahnlärm aufgeschreckt zu werden! – KEINE KÄFIGHALTUNG!“
Markgräfler Radweg an der B3 vor Schliengen.
Guido Block-Künzler im Regen vor Schliengen.
Längst hatte ich meine Brille abgezogen: Ihr fehlen die Scheibenwischer! Was da wie die Softversion von Bondage aussieht, ist tatsächlich so etwas ähnliches: Ich verteilte das leichtere und fülligere Gepäck in den Rucksack, den ich auf dem Rücken trug – und die schweren Sachen wie Proviant und Wasser in den vor die Brust geschnallten Rucksack. Abenteuerlich wird die Konstruktion, wenn man, wie ich später kurz vor Basel, in der Dunkelheit am Kai entlanggehen muß – und keine Kampfschwimmerausbildung hat.
Vor der „Ersten Markgräfler Winzergenossenschaft“ in Schliengen lud mich dieser trockene Ort zum Verweilen ein. Ich teilte ihn mit einer historischen Weinpresse. Nach einer halben Stunde Putzaktion hatte ich den Partymüll der Kids in der Tonne. Nachts besuchten sie mich, zogen sich jedoch recht bald diskret zurück.
Sangen unablässig vor meiner Haustür.
In Schliengen hatte ich mehrere Möglichkeiten: Direkt vor meiner Hütte verlief das „Wiiwegli“ in Schlangenlinien durch das südliche Markgräfler Land über Weil am Rhein/Basel zum derzeitigen Endpunkt Grenzach-Whylen am Rhein. Weitgehend entlang der B 3 konnte ich den Radweg nach Weil am Rhein laufen. Angesichts der schlechten Wetterprognosen entschied ich mich für die schnellste Variante: Ich lief den Radweg (der unten im Tal parallel zum Wiiwegli geführt wird) nach Bad Bellingen hinunter zum Rhein und folgte dem flachen Radweg bis an die Stadtgrenze von Basel am Dreiländereck.
Da ich ohnehin bis weit in die Nacht hinein zum Bahnhof von Weil laufen musste, genoss ich den schönen Tag und legte ungewöhnlich viele Pausen auf den Bänken am Altrhein ein.
Blick vom Radweg am Altrhein auf die Weinberge bei Kleinkems.
Das Winzerdorf Kleinkems ist eingeklemmt zwischen der Autobahn (deutlich sichtbar die Schallschutzwand) nach Basel und der Rheintalbahn (deren Schallschutzwand sich hinter dem Dorf versteckt). Beide sind als wichtige Nord-Süd-Verkehrsachsen stark befahren.
Aussichtspunkt „Isteiner Schwellen“. Bis hierhin hielt der Akku durch. Ohnehin ging die Sonne unter. Es waren noch über zehn Kilometer zum Dreiländereck Deutschland-Schweiz-Frankreich (Europabrücke). Ich hielt durch. Am Ende lief ich an diesem letzten Tag fast dreißig Kilometer. Völlig erschöpft kam ich am Bahnhof an. Er liegt an der S-Bahn-Haltestelle Stadtmitte. Genauer gesagt: unter ihr. Ich verzog mich in eine trockene Ecke der „Einkaufsinsel“ (der vorhergesagte Regen hatte bereits begonnen) und nahm eine Mütze Schlaf. Am nächsten Tag begleitete mich ein älterer Herr über die schmale Brücke zum Aufzug, der hinunter zu meinem Bahngleis führte. „Wir hatten einen schönen Bahnhof. Und dann kam Mehdorn!“ Der Vorstandsvorsitzdende der Deutschen Bahn AG (1999–2009) hat die Bahn zukunftsfähig gemacht – meinte er. Nun ja: Wenn jede Stadt den Bahnhof hat, den sie verdient, dann „passt das scho“. Mehdorn: Täglich erreichten mehr als einhundert Beschwerden sein Büro. Bis Karlsruhe hatte ich interessante Reisebegleitung: Der gelernte Kranführer aus dem Kosovo will nach seiner Einbürgerung versuchen, als Pendler in der Schweiz (wo ein teil seiner familie wohnt) Arbeit zu finden. Viel Erfolg!