Einmal Playa Quemada und zurück
Zu Fuß rund um Lanzarote
Block-Künzler, Guido: Einmal Playa Quemada und zurück – zu Fuß rund um Lanzarote
1. Auflage, BoD.
Herstellung und Verlag: Books on Demand GmbH, Norderstedt
© Guido Block-Künzler. Alle Rechte vorbehalten
Umschlagphoto, Bilder und Gestaltung: Guido Block-Künzler
ISBN 978 384 236 2116
Die Insel ist ein Traum, ihre Landschaften so ganz anders, als die in Mitteleuropa. Ihre Farben aus dem Tuschkasten im Licht klarer Oktobertage knallen richtig rein. Seit fas zwanzig Jahren besucht der Autor jährlich die Insel. Es lag daher nah, sie auch zu erwandern. Das hat er im Frühjahr 2007 getan. Was er dabei erlebt hat, schrieb er auf. Zur Zeit bereitet er sich darauf vor, die Insel erneut zu umwandern.
Einmal Playa Quemada und zurück – Inhalt
Lanzarote: „Jungfräulich wird sie nie wieder!“
Papagayo-Strände: Wo die Kanaren spanisch wurden
Marina Rubicón: Die Fischerkate der Familie MedinaCaceres
Playa Blanca: Fußläufige Touristenwüste
Rubicón: Wo die Berge glühen
Timanfaya: Das Familiensilber
El Jable: Die Sandwüste
Famara: Wind, Wellen und Surfer
Risco de Famara: Wolkenfänger
Haría: Manriques letzte Zuflucht
Orzola: Fischer, weiße Strände und Malpais
Arrieta: Juan de Léon Perdomo: einmal
Argentinien und zurück
Costa Teguise: Geplatzt: Manriques Traum vom
nachhaltigen Tourismus
Arrecife: Inselhauptstadt hinter dem Riff
Puerto del Carmen: Vierzig Jahre Massentourismus
Puerto Calero: “Turismo de Calidad”
Playa Quemada: Der verbrannte Strand
Manrique auf Lanzarote
Einmal Playa Quemada und zurück – Leseprobe
Lanzarote
„Jungfräulich wird sie nie wieder“
„Jeder Mensch trägt seine Landschaft in sich. Es ist ein großes Glück, sie wirklich zu finden. Ich habe sie gefunden: Lanzarote.“
José Saramago, Literaturnobelpreisträger
(*16.11.1922 in Azinhaga, Portugal; † 18.06.2010 in Tias)
Wenn Ibiza ohne Hippies so fad daherkommen soll wie Karl May ohne Indianer - wie ein Reisejournalist sinngemäß geschrieben hat - dann gilt das auch für Lanzarote ohne César Manrique. Heute noch - fast zwanzig Jahre nach seinem Tod - ist der unkonventionelle Allroundkünstler allgegenwärtig auf der Insel.
Die Insel ist so, wie sie heute ist, ohne CM nicht denkbar. Sein ehrgeiziges Ziel: "Ich möchte der Erde ihre Harmonie entlocken, um sie mit meinem Gefühl für die Kunst zu vereinen". Er hat das Gesicht der Insel geprägt – bis die Baulöwen kamen. Danach verkroch sich die Harmonie.
Die Lanzaroteños sagen ihm nach, er habe Lanzarote gemacht. Für die ersten Jahrzehnte seines Wirkens ist das kaum zu bestreiten. Der Maler, Bildhauer, Architekt, Ökologe, Denkmalpfleger, Bauberater, Siedlungsplaner, Garten- und Landschaftsgestalter – das meiste davon im autodidaktischen Modus – war ein Schaffer. Weder vor noch nach ihm brachte die Insel eine größere Künstlerpersönlichkeit hervor.
1919 in der Inselhauptstadt Arrecife - am Postkartenmotiv Charco de San Ginés – geboren, zog er freiwillig für General Franco in den Bürgerkrieg - gegen die Republik. Zurückgekehrt nach Lanzarote verbrannte er seine Uniform. Sechs Jahre später besuchte er die Escuela de Bellas Artes de San Fernandoin Madrid. 1950 legte er dort sein Examen als Kunsterzieher und Maler ab.
Einen Teil seiner Kindheit verbrachte er an der Caleta de Famara. Dort – kaum erstaunlich – entstand seine Liebe zu Landschaft und Natur. "Manrique hat sein ganzes Leben lang Vorstellungen vertreten, die eigentlich für jeden Ort gelten: das Bewusstsein, dass Landschaft ein endliches Gut ist, dass wir verantwortlich mit ihr umgehen müssen, um die Zukunft zu bewahren. Manrique hat diese Idee seit den sechziger Jahren auf Lanzarote verfolgt. In Bezug auf das Konzept der Nachhaltigkeit war er seiner Zeit voraus - wenn man bedenkt, dass man es allgemein erst Anfang der Neunzigerjahre wahr eingeführt hat, nach der Konferenz von Rio. Bis vor kurzem haben wir ja gedacht, die Ressourcen der Erde seien unerschöpflich, unendliches Wachstum sei möglich - und das ist falsch. Die Ideen Manriques haben heute ohne Zweifel mehr denn je Bestand!" beschrieb Alfredo Díaz von der Manrique-Stiftung im Interview mit Reinhard Spiegelhauer vom Deutschlandradio letztes Jahr die Bedeutung von Manrique.
Viele der von der Inselregierung – dem Cabildo – vermarkteten lokalen „Weltwunder“ wurden von ihm gestaltet und sind ein „must have been“ für jeden Touristen, der von Lanzarote mehr als Sonne und Strand erwartet. So etwa der von ihm gestaltete Kaktusgarten oder der minimalistische Ausguck nach La Graciosa, wo er in bester Konversionsmanier eine ehemalige Militärbasis - während des Krieges zwischen Kuba und den USA gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden hier Geschützbatterien installiert - zum absolut einmaligen Eventplatz umwandelte: Mirador del Rio, das nahezu unsichtbar in die zerklüftete Steilwand des Nordkaps eingepasste Restaurant, dessen Fensterfront einen faszinierenden Panoramablick auf die kleine Nachbarinsel gewährt. Das ist moderne, landschaftskonforme Architektur, die fern von folkloristischer Verkitschung Respekt für Landschaft, Geschichte und Tradition bezeugt.
Wiedererkennen würde er, der 1992 auf einer Kreuzung bei Tahíche tödlich verunglückte, die Insel heute nicht mehr. Zu entstellt ist inzwischen ihr Gesicht.Touristensiedlungen haben sich wie Krebsgeschwüre in die Insel gefressen – trotz aller Warnungen, trotz aller Baustopps. José Saramago hat bereits vor zehn Jahren gesagt: „Wir wohnen gerade dem zweiten Tod von César Manrique bei“. Der langjährige Inselbewohner und Nobelpreisträger für Literatur, mischte sich als guiri (Ausländer) ein. Er interessierte sich mehr für die Entwicklung der Insel als mancher Lanzaroteño: „Wenn irgendjemand glaubt, mehr Autos, mehr Straßen, mehr Diskotheken und mehr Golfplätze bedeuteten mehr Lebensqualität, irrt er sich komplett." Vor zehn Jahren kamen zur Fiesta de Dolores 36.000 Menschen, zur Demo für eine nachhaltige Inselentwicklung gerade Mal dreihundert. „Wenn der Tag kommt, werde ich mich wohl fragen müssen, ob es sich noch lohnt, auf Lanzarote zu bleiben, oder ob ich gehen muss.“ Er ist geblieben. Trotz alledem.
Noch überwiegt die Attraktivität. Und man kann auf der Insel als Resident oder Urlauber ganz gut ohne die Touristenzentren zurechtkommen. An der Ostküste und im Inselnorden ist schlimmstenfalls der Nachhall der Touristenrummelplätze zu spüren: in Form der Rundreisebusse und Mietautos. Wer sich antizyklisch verhält, kommt auch damit klar. Kein Massentourist verzichtet auf das Frühstücksbuffet oder das Abendessen.
Im letzten Jahr ist José Saramago gestorben - in Tias. Bis zum letzten Atemzug blieb er sich treu: kämpfen, Widerstand leisten, sich einmischen. Motto: “Ich bin kein Pessimist, sondern bloß ein gut informierter Optimist.“
Bernd L. Richter bringt die Situation nach Manrique in seinem wunderschönen Bildband auf den Punkt: „Das Verhältnis Mensch-Natur bedarf neuer Orientierung. Hier hat Manrique unausreißbare Wurzeln gelegt….Fehler sind, wie auf der ganzen Welt, offensichtlich unvermeidbar.Wichtiger ist, dass man sie einsieht und korrigiert. Ob es gelingt, hängt auch, nein: im Wesentlichen von den Besuchern ab. Die Insel ist genauso wenig ursprünglich geblieben, wie ein Operettenkapitän ein Kapitän ist. Schön ist sie trotzdem. Jungfräulich wird sie nie wieder werden.“
Jungfräulich war sie schon 1993 nicht mehr, als die UNESCO der Insel den Adelstitel Biosphärenreservat verpasste. Jungfräuliche Landschaften in Europa zu erwarten, das wäre ohnehin – nach tausenden Jahren intensiver Landnutzung - ein Fall für die Psychiatrie.Von den Salinen in Costa Teguise war bereits 1993 nichts mehr zu sehen, ihr Umfeld zubetoniert, die Infrastruktur für weitere Hotels und Apartmentanlagen in den kargen Boden getackert. Heute stehen sie, die Hotelmonster und disneylandmäßigen Karikaturen des Inselbaustils. Und noch sehr vieles mehr. Von 1993 hat bis heute (2007) sich die Bettenzahl fast verdoppelt. Sicher: nicht die Bewahrung des Status quo, sondern eine Weiterentwicklung fordert der Titel. Ob Tourismus zur soliden Lebensgrundlage einer Region werden kann, oder ob mit blinder Ressourcenvergeudung die Zukunft verspielt wird – dass hing von Inselregierung und den Bürgermeistern der drei touristischen Zentren ab. Sie haben – viele davon korrupt – die Chancen weitgehend verspielt. Heute hilft nur noch ein Tsunami, bin ich versucht zu denken – wäre das nicht zynisch.
Genutzt hat das Prädikat bisher vor allem Reiseveranstaltern und der Inselregierung. Im letzten Jahr waren fast vierzig Prozent der Lanzaroteños arbeitslos. Schuld ist nicht nur die weltweite Finanzkrise. Auch, weil all inclusive mit anständigen Löhnen kaum machbar ist und Insulaner durch Billiglöhner ersetzt wurden, geht es den Insulanern schlecht. Und weil derzeit – Gott sei Dank - kaum gebaut wird.
César Manrique war kein weltfremder Träumer. Er ist auf Lanzarote aufgewachsen. Er wusste, wie schwer es „in der guten alten Zeit“ war, auf der kargen Insel zu überleben. Wie sehr die Landbevölkerung sich plagen musste, um dem kargen Boden etwas abzuringen. Als er 1968 auf die Insel zurückkehrte, standen die Flughäfen auf Ibiza und Mallorca bereits seit einem Jahrzehnt und schwemmten Sonnenhungrige aus dem Norden an die Strände des Südens. Franco wollte den Tourismus, um Hungeraufstände zu verhindern.
Nebenan auf Gran Canaria stand das Hotel Santa Catalina in Las Palmas noch viel länger - bereits seit 1890, der erste Flughafen seit 1930. In den 1960er Jahren ging es dann richtig ab. Der Tourismus wurde zur Haupteinnahmequelle. Mehr und mehr Bettenburgen verschandelten einst unberührte Strände. Es bedurfte keiner hellseherischen Fähigkeiten, um zu ahnen, was auch Lanzarote bevorstand. Manrique wollte den Drachen zähmen, ehe er die Insel beherrschen konnte. Manriques Engagement galt dem Landschaftsschutz und der Denkmalpflege. Er brachte seinen Landsleuten die kulturellen Werte ihrer kargen Heimat nahe – auch wenn das nicht Alle gleich verstanden. Sein Bauerndenkmal Monumento al Campesino in der Inselmitte wurde lange Zeit verspottet.
Gegen die Mächte der Finsternis – Gier und Geld – hat er verloren. Trotz der Unterstützung durch José Ramirez Cerdá, einem Inselpolitiker und Schulfreund. Eine seiner Schülerinnen berichtete, dass er in Costa Teguise wie Catweazle vor den Baggern herumhüpfte und die Bauarbeiter wüst beschimpfte. Mit zunehmender Verbitterung zog er bis zu seinem frühen Tod gegen Spekulanten und Baulöwen zu Felde. Heftig konnte sie werden, die Lichtgestalt der Insel - wer hätte es ihm verdenken können. Mit seinem Traum verdienen bis heute einige wenige Millionen.Andererseits: ohne sein Zutun wäre es mit Sicherheit schlimmer gekommen. Es hätte ein zweites Benidorm entstehen können, ein weiterer Ballermann. Das zumindest blieb der Insel erspart.
Heute wäre Selbstbeschränkung vonnöten - ein unpopuläres Thema. Die Inselbürgermeister,die von jeher sehr großzügig Baugenehmigungen erteilten, wollen von Bescheidung nichts wissen. Als hartnäckige Mahner treten vor allem die Mitglieder des Umweltschutzvereins El Guincho auf. Dieser Organisation gehörte auch César Manrique an, er war ihr Kopf und Motor.
Kultivierte und sensible Naturbegeisterte hatte Manrique auf seine geliebte Heimatinsel locken wollen. Die überwiegende Zahl der anderthalb Millionen Touristen, die Lanzarote heutzutage als Ferienziel wählen, kommt allerdings nicht, um sich an den originären Besonderheiten der Insel zu ergötzen. Wie eine Studie ergab, reizt die besondere Landschaft nur vier unter hundert Besuchern, und Manriques Kunstobjekte wurden als Motivation überhaupt nicht genannt. Immerhin: zwei von dreien der oft geschmähten Sand-und-Sonne-Touristen finden sich in einem der vielen Ausflugsbusse wieder, die in wenigen Stunden die sieben Weltwunder abklappern.
Die Allgegenwart Manriques, seines Namens und Wirkens, könne dazu führen, dass man sich nach einigen Besichtigungsfahrten zu einem völlig manriquefreien Ort sehne. Das hat jemand vor einigen Jahren geschrieben. Das konnte er auch nur schreiben, weil er viel zu schnell unterwegs war. Wer zu Fuß unterwegs ist, wird auf diesen Gedanken nicht kommen. Gelobt sei die Langsamkeit!
Ich beginne meine Wanderung, als der Strand sich füllt. Normalerweise ist hier im Winter tote Hose. Playa Quemada ist das Afterhoek der Insel: einsam, verlassen, untouristisch - nur durch eine Stichstraße erreichbar. Ulrich aus dem Vogelsberg überwintert hier. Eine pensionierte Lehrerin aus dem Pott hat sich eine Butze gekauft. Sie schwimmt jeden Morgen ihre einsamen Bahnen – auch jetzt im Winter. Manchmal taucht ein Fischerboot im Morgengrauen auf. In die beiden Restaurants verirren sich ab und zu mal Touristen. Rafael, der junge Supermercadobesitzer, öffnet und schließt seinen winzigen Supermarkt nach Maßgabe seiner Laune. Viel lieber spießt er mit seiner gefährlichen Harpune unschuldige Tintenfische auf.
Das ändert sich radikal, wenn die Semana Santa, die Heilige Woche, in die heiße Phase geht. Dann kommt auch Ricardo in Wallung. Ab Gründonnerstag versammelt sich die Insel am Strand. Sehr beliebt ist mein Lieblingsstrand. Dumm gelaufen. Sie kommen mit dem überwiegenden Teil ihres Hausrats, Benzingeneratoren und Fernseher all inklusive. Da hilft nur noch Flucht.
Meine Flucht beginnt mit Verspätung. Schuld ist mein Nachbar – ein pensionierter rumänischer Bauingenieur. Er hat die alte Fischerhütte gekauft und renoviert seit Tagen vor sich hin. Ich sah ihn gestern riesige Steine schleppen. Das weckte mein Helfersyndrom. Über kurz oder lang schleppten wir gemeinsam. Das machte durstig. Den Rest des Abends saßen wir vor seiner Bruchbude. Das war lustig, denn sein Englisch war so rudimentär wie sein Spanisch. Mit Französisch kamen wir auch nicht wirklich weiter. Italienisch und rumänisch wiederum sind für mich fremde Zungen. Dennoch unterhielten wir uns prächtig – jedenfalls soweit ich mich erinnern kann. Am nächsten Tag – also gestern - stand in großen weißen Lettern CANCELED im blauen Himmel. Mit dickem Kopf und weichen Knien durch die einsamen Los Ajaches zu torkeln, schien mir keine sonderlich gute Idee zu sein.
Als ich dann endlich loslaufe, erteilt mir das Landschaftsschutzgebiet gleich eine Lektion in Sachen Einsamkeit. „Hallo,Servus, Grüß Gott!“ schallt es mir fröhlich entgegen. Noch vor zehn Jahren interessierte sich kein Schwein für diese staubtrockenen Barrancos mitten im Nichts. Die Letzten grüße ich nur noch mit müde erhobener Hand. Ich bin nicht wirklich davon überzeugt, dass diese Armada hier die Speerspitze des nachhaltigen Tourismus ist. Es ist mitnichten so, dass nur ein paar Leute dem Ruf folgen. Inzwischen ist es ein dickes Geschäft, aus dem letzen Flecken der Insel noch Mehrwert rauszuholen. Immer mehr wird die Insel zum Disneyland. Wenigstens sind es keine Quadfahrer, beruhige ich mich.
Seit die Inselregierung beschlossen hat, mit ihren Plänen zum ländlichen Tourismus ernst zu machen, bevölkern immer mehr Wanderer bislang einsame Gegenden. Alles in allem eine ganze Busladung kommt mir gerade lärmend entgegen. Im Bergdorf Femes abgesetzt, hat man sie den schwindelerregenden Weg von dreihundertsiebzig Metern Kammhöhe hinunter auf den alten Hirtenweg im Valle del Higueral getrieben. Wer das Gekraxel über Klippenpfade überlebt, darf sich in Playa Quemada einen hinter die Binde schütten, bis der Bus kommt und alle vor ihren Hotels wieder ausspuckt.
Normalerweise ist es aber in den Los Ajaches ziemlich einsam. Im zweithöchsten Gebirgszug der Insel wohnt seit Jahrzehnten niemand mehr. Zu karg ist der Boden, zu mühevoll war das Überleben angesichts anderer Verdienstmöglichkeiten - sei es in´Übersee, sei es im Tourismus. Außer eifrigen Wanderern bevölkern noch immer Ziegenherden diese stille Gegend - auf der Suche nach den letzten Grasbüscheln. Wer jedoch genau hinsieht wird feststellen, dass die Pflanzenwelt erstaunlich vielfältig ist. Okay, eigentlich nur in regenreichen Wintern. Den Rest der Zeit finden sich in der trockenen Erde nur ihre Samen. Fast sechshundert Arten sind es. Darunter der anspruchslose Hornklee, aber auch Mohnblumen und Margeriten. Hier unten im Süden, in der Trockenheit der Los Ajaches, muss schon einiges runterkommen, bis die Samen aufgehen. Oben im Norden, hinter den Famara-Klippen, werden mir später blühende Wiesen begegnen.
Noch einmal kurz zurück zur Tierwelt Lanzarotes. Es gibt hier nicht nur Ziegen. Neben Maultieren - die auch heute noch als Lasttiere genutzt werden - ausgesetzten Hunden und Katzen (die einen Teufel tun, sich allzu weit von menschlichen Siedlungen zu entfernen) ist da noch das Dromedar. Früher musste es den kargen Ertrag der trockenen Lavaböden schleppen, heute sind es Touristen. Zu Hause ist es in einem Tal oberhalb von Uga, in Pferchen, umgeben von Betonmauern - nichts, was wirklich glücklich macht. Jeden Morgen wird es mit seinen Artgenossen zur Karawane gebunden und von wettergegerbten Führern auf einem eigens für sie angelegten Treck in die Feuerberge geführt. Dazu werden ihm zwei putzige Sesselchen auf den Rücken gehängt. Dann geht es den Vulkanhang einige hundert Meter hoch - und wieder zurück. Den meisten Touristen ist das Abenteuer genug. Ohnehin geht es primär um das Fotomotiv. Die tägliche Drommedarkarawane in die Montanas del Fuego gilt als Markenzeichen des Lanzarote-Tourismus – ein Alleinstellungsmerkmal. Nicht jeder hat so was.
Weder himmelstürmenden Berge noch tiefe Schluchten finden sich in den Los Ajaches - in der Abteilung himmelstürmend hat die Insel ohnehin bis auf die Famaraklippen im Norden wenig zu bieten. Auch auf Wälder hat der Herrgott verzichtet, als er die Insel modellierte. Gibt’s schon anderswo, lasst mich mal was Anderes ausprobieren. Zum Beispiel grauschwarzbraunrote, nicht immer sanft gewellte, eingefurchte Flächen, die in schwindelerregenden Klippen enden. Postkartenblicke gibt es in dieser unspektakulären Halbwüste nicht.
Mit meinen weit über zwanzig Kilo Gepäck komme ich nur langsam voran. Im Übrigen meide ich die steilen Klippenwege weitgehend und suche mir meinen Weg über die zum Teil abenteuerlichen Pisten, die manchmal himmelwärts verlaufen. Auf allen Vieren verlasse ich das Higueraltal über den Nordhang des Moro de la Loma. Die letzten Meter sind mörderisch. Ich bekomme kaum Luft, der Rucksack drückt mich Richtung Erdmittelpunkt. Den Aus-Schalter für die Schwerkraft habe ich leider verlegt.
Oben angekommen, blicke ich zurück. Wie angeschwemmtes Strandgut liegen die Siedlungen weiß auf graubraun an dem sanft aufsteigenden Hang der Vulkankette, die sich im Abstand von zehn Kilometern an der Ostküste entlangzieht. Ich laufe weiter, über Täler und Höhenrücken immer wieder zu den menschenleeren Stränden mäandernd.
Ehe es vor dem Punta de Papagayo wieder flacher wird, geht es noch einmal richtig zur Sache. Geländewagen müssen auf der zerklüfteten Piste ihr Letztes geben. Das reicht nicht immer. Vor mir hat sich einer bedrohlich in den Hang geklemmt, als er dem Miniatur-Grand Canon in der Piste ausweichen wollte. Natürlich Touristen, die meinen, Geländewagen würden per Mietvertrag alle Pisten meistern. Später kommt es noch dicker. Auf einer Minipasshöhe kommt mirein Kleinwagen entgegen. Dümmer geht nimmer. Ich fuchtele herum und kreuze die Arme um zu signalisieren, dass hier – jedenfalls mit ihrem Spielzeugauto - nix mehr geht. Ohnehin grenzt es schon an ein Wunder, dass sie es so weit geschafft haben. Sie ignorieren mich - ebenso wie die offensichtliche Tatsache, dass ihr Mietauto und die vor ihm liegende Landschaft nie und nimmer zusammenkommen können. Aber sie haben für den Naturpark Eintritt bezahlt – und niemand kann sie davon abhalten, den vermeintlichen Gegenwert zu realisieren. Dabei ist der Eintritt eigentlich nur die Parkplatzgebühr für die Papagayo-Strände.
Lanzarote für Anfänger
Vor 15,5 Millionen Jahren wuchs Lanzarote über die Meeresoberfläche hinaus. Die nordöstlichste der sieben großen Kanarischen Inseln, die im Atlantischen Ozean eine von Spaniens siebzehn autonomen Regionen bilden. Lanzarote liegt rund 140 Kilometer westlich der marokkanischen Küste und rund eintausend Kilometer vom spanischen Festland entfernt. Mit einer Fläche von 845,94 Quadratkilometern hat die Insel einen Flächenanteil von 11,29 Prozent an der Gesamtfläche aller Kanaren. Als erste vollständige Insel wurde Lanzarote 1993 von der UNESCO zum Biosphärenreservat erklärt.
Lanzarote misst von Nord (Punta Fariones) nach Süd (Punta Pechiguera) rund 58 Kilometer und in der größten Ost-West-Ausdehnung 34 Kilometer. Die Gesamtfläche beträgt 845,94 km². Darauf leben nach offizieller Statistik dauerhaft 139.506 (Quelle: WIKIPEDIA). Daraus ergibt sich eine harmlos erscheinende Einwohnerdichte von 168 Einwohner/km². Tatsächlich dürften es wegen der oft nicht gemeldeten Residenten wesentlich mehr sein. Hinzu kommen jährlich weit über anderthalb Millionen Touristen. Das ist mehr, als die Wüsteninsel verträgt. Ohne fossile Brennstoffe ist das nicht denkbar. Zwei Meerwasserentsalzungsanlagen, beide mit Öl betrieben, garantieren die Trinkwasserversorgung.
Vor zehn Jahren haben mein Freund Uli und ich die Insel unserer Träume als Satellitenposter verewigt. Nachfolgend habe ich Ausschnitte verwendet.
Südlich von Lanzarote liegt in 11,5 Kilometern Entfernung die Insel Fuerteventura, und im Norden nur einen Kilometer entfernt der Chinijo-Archipel mit den kleinen Inseln La Graciosa, Montaña Clara, Alegranza, Roque del Oeste und Roque del Este. Von den insgesamt 213 Kilometern Küste sind 10 Kilometer Sand- und 16,5 Kilometer Kiesstrand, der Rest besteht aus Felsküste. Auf der Insel gibt es zwei Gebirgszüge. Im Norden der Insel steigt das Famara-Massiv mit dem Gipfel Peñas del Chache auf 671 m an, und im Süden der Los Ajaches auf 608 m. Südlich des Famara-Massivs schließt sich die Sandwüste von El Jable an, die das Famara-Massiv von den so genannten Feuerbergen (Montañas del Fuego)des Timanfaya-Nationalparks trennt. Im Timanfaya-Gebiet ereigneten sich zuletzt von 1730 bis 1736 und 1824 starke Vulkanausbrüche, die große Teile des fruchtbarsten Ackerlandes und mehrere Dörfer und Gehöfte mit zusammen etwa 420 Häusern unter sich begruben. Der Rest der Insel ist durch eine Hügellandschaft mit markant aufragenden Vulkankegeln geprägt. Lanzarote ist in die sieben Gemeinden unterteilt: Arrecife (Inselhauptstadt), Haría, San Bartolomé, Teguise, Tías,Tinajo und Yaiza gegliedert.
Rund um Lanzarote – die Wanderrroute
Playa Quemada, Naturparke Los Ajaches und Papageienstrände, Playa Blanca, Salinas de Janubio, Los Hervideros, El Golfo, Yaiza, Parque National de Timanfaya, Tenezara, La Isleta/La Santa Sport, Playa de Famara, Teguise, Mirador de Haria, Valle del Malpaso, Haria, Máguez, Guinate, Yé, Órzola, Malpais de la Corona, Punta de Mujeres, Arrieta, Charco del Palo, Punta de Tierra Negra, Costa Teguise, Arrecife, La Honda, Aeropuerto de Lanzarote, Puerto del Carmen, Puerto Calero, Playa Quemada.
Rund um Lanzarote – ausgeschilderte Wanderwege entlang meiner Route
Neuerdings sind auf Initiative der Kanarenregierung auf allen Inseln viele Wanderwege ausgewiesen worden.Von Costa Teguise kann man fast durchgehend auf Strandpromenaden bis Puerto Callero kommen. Am neuen Sporthafen von Playa Blanca beginnt dann die Südküstenpromenade, die bis hinter den Montaña Roja ausgebaut ist. All dies bequem mit Badeschlappen zu laufen. Dazwischen muss man sich mit Pisten und alten Hirtenpfaden begnügen.
Die Insel hat übersichtliche Dimensionen. Nur mit verbundenen Augen kann sich hier jemand verirren.
Rund um Lanzarote – ein Reisebericht in kommentierten Bildern
Los Ajaches – meist einsam
Die einst menschenleeren Los Ajaches sind inzwischen ein beliebtes Wandergebiet. Es ist ein karger Landstrich. Früher wurde er teilweise landwirtschaftlich genutzt. Lange her. Auch die Hippies haben ihn entdeckt. Ebenfalls lange her.
Ich begann meine Wanderung, als sich der Strand zur „Semana Santa“ füllte. Normalerweise ist im Winterhalbjahr in Playa Quemada tote Hose: einsam, verlassen, untouristisch. Zur Semana Santa ändert sich das. Semana Santa ist der spanische Begriff für die heilige Woche (Palmsonntag bis Ostersonntag). Sie wird in den katholisch geprägten Ländern des spanischsprachigen Raums vielerorts ausgiebig gefeiert. Auf Lanzarote ist es Tradition, mit dem halben Hausrat an die Küste umzuziehen.
Blick zurück auf Playa Quemada. Im Hintergrund ist der Touristenort Puerto del Carmen zu sehen. Den Hirtenweg hoch über den Klippen vermied ich. Dennoch ging ich über die Barrancos hinunter zu jedem der einsamen Strände. Mit nur 112 Millimetern Niederschlag pro Jahr ist Lanzarote die trockenste der Kanarischen Inseln. Davon fallen allerdings etwa 85 Prozent von Januar bis März– sagt die Statistik. Der Schwager meines Freundes Uli hat einen verregneten Sommerurlaub hier verbracht. Ich selbst habe heftige Niederschläge Mitte Oktober erlebt und eine grüne Insel Ende November, nachdem es heftig geregnet hatte. Berechenbar ist Lanzarote nicht. Am wenigsten Niederschlag fällt hier im Inselsüden. Es war und ist – Trotz der organisierten Wandergruppen, die sichauf einem schwindelerregenden Pfad von Femes hinunter in die Täler der LosAjaches nach Playa Quemada stöckeln - noch ziemlich einsam hier. Ab und zuverirrt sich ein Tourist auf Wege, die selbst mit Geländewagen kaum zu bewältigen sind. Völlig gaga. Ab und zu findet man Lanzarotenos, die mit ihrem schweren Gerät gestrandet sind. Normal gehört hier niemand her, der einen Dieselmotor hat. Und dann gibt es noch die kommerziellen Wandergruppen, mit denen ich mich nicht wirklich anfreunden kann. Ein touristisches Erschließungsprojekt mit Besucherlenkung gibt es nicht.
Das letzte Grün in der baum- und strauchlosen Einöde finden die Ziegen. Sie sorgen dafür, dass hier nichts lange grün bleibt. Dafür gibt es leckeren Käse. Zwei Familien treiben sie täglich durch die Ödnis. Reich wird man davon nicht. Die Unterkünfte für Ziegen und Menschen sind eher Baracken.
Rubicón-Ebene- zwischen Einöde und Massentourismus
Der Name Rubicón für diese Ebene leitet sich vom lateinischen rubicundus für rötlich ab, was auf die in der Sonne teilweise von See her rötlich erscheinenden Vulkanberge im Hintergrund der Ebene zurückzuführen ist. Die Ebene hatte im 15. Jahrhundert eine wichtige Bedeutung während der Eroberung der Insel. Der Normanne Jean de Béthencourt ist 1402 im Auftrag des kastilischen Königs Heinrich III. hier an Land gegangen und begann hier für die spanische Krone die Eroberung Lanzarotes.
Die Ebene beginnt hinter den Los Ajaches. Einen ganzen Tag lang war ich über die Hügel gelaufen. Einsam war es. Und dann traf ich auf diesen temporären Campingplatz. Jedes Jahr gibt es lange vor der Semana Santa Gerangel um die Plätze. Als Nichtinsulaner brauchen Sie es erst gar nicht versuchen. Im Übrigen: Für meinen Teil bedauere ich das nicht. Ziemlich eng und lärmig war es hier.
Am nächsten Morgen war es einsam am Strand. Bis zum nächsten Hotel waren es mehr Kilometer, als ein Morgenspaziergang erlaubt. Noch saßen die Touristen in den Hochburgen Playa Blanca, Puerto del Carmen und Costa Teguise am Frühstücksbuffet. Ihre Mietwagen parkten noch vor den Hotels, bereit, die Insel zu überfluten. Später würde es hier zwar nicht so voll werden, wie in Arenal, aber doch voll genug, um vor zehn das Weite zu suchen. Die sogenannten Papageienstrände im Süden der Insel sind ein beliebtes Ausflugsziel und werden in jedem Reiseführer als Ort angepriesen, den man unbedingt gesehen haben muß. Nix wie weg, ehe die Massen ihre Badetücher ausrollen! Ich genoss die Stille und Einsamkeit vor dem Sturm und nahm ein freizügiges Bad zu nehmen, um den Staub der Los Ajaches loszuwerden. Nacktbaden ist auf Lanzarote nur bei Los Chicos erlaubt. Lanzarote ist streng katolisch. Der Atlantik war im Anfang April mit 16 Grad noch recht frisch. Es wurde nur ein Sitzbad mit ausgiebiger Körperpflege - natürlich ohne Zusätze. Das macht man nicht als Outdoor-Liebhaber. Wenn ich in Deutschland unterwegs bin, dann habe ich wenigstens Kernseife dabei. Die sieben 100 bis 400 Meter langen weißen Strandabschnitte sind durch natürliche Lavafelsen getrennt und ideal zum Baden geeignet, da sie flach abfallen. Engländer und Deutsche stürzen sich auch im Winterhalbjahr in den Atlantik. Wer aus der Kälte kommt … Längst haben es sich die Inselbewohner abgewöhnt, darüber den Kopf zu schütteln. Beate, eine befreundete Deutsche, die schon Jahrzehnte auf Lanzarote lebt, fragte mich später allerdings: „Kann man wirklich schon ins Wasser gehen?“ Nun. In Deutschland nennt man das Eisschwimmen. Kleiner Scherz am Rande. Und die Nordsee wird selbst im Sommer … Baden im März ist hier nur was für die ganz Harten!
Über die ausgetretenen Trampelpfade lief ich von Strand zu Strand auf Playa Blanca zu. Das erste Hotel – illegal errichtet – ist bereits vom Punta de Papagayo zu sehen. Am Playa de Mujeres hatte ich zehn Jahre zuvor den Januar verbracht. Wir waren fünf. Ein Pärchen von Gran Canaria und ein Deutscher mit seinem kleinen Sohn. Im Sommer sah das anders aus. Die halbe Insel baute hier ihre Zelte zur Sommerfrische auf. Heute ist das Campen streng verboten. 1998 wurde dieses Areal mit den schönsten Stränden Lanzarotes zum Naturschutzgebiet "Monumento Naturales Los Ajaches" erklärt.
Hinter den Traumstränden traf ich auf die Hütte der Familie Medina Cáceres, einer Fischerfamilie, die sich weigerte, der schönen neuen Urlaubswelt zu weichen. Es tat weh, zu sehen, was aus dem einsamen Kieselstrand geworden ist. Hier lebten Leute vom Meer. Nicht gut, aber zufrieden. Eine Art Kondolenzbuch lag aus. Drumherum standen gelangweilte Touristen. Ehe mir das Messer in der Tasche aufging, verschwand ich.
Weiter ging es auf der Strandpromenade. Bis zum Montaña Roja kamen meine Wanderschuhe mit schnödem Vulkanstaub nicht mehr in Kontakt. Mit Landschaft auch nicht. Hotels und Apartmentanlagen wechseln sich ab. Playa Blanca (weißer Strand), ehemals ein beschauliches Fischerdorf, ist heute das drittgrößte Touristenzentrum – nach Puerto del Carmen und der Retortenstadt Costa Teguise im Inselnorden.
Wie riesig der touristisch Ballungsraum im Inselsüden ist zeigt sich deutlich in der Nacht. Ich nahm das Bild im Jahr zuvor auf (2006), als ich auf dem Montaña Roja lagerte. Heute sieht das noch viel übler aus.
Irgendwann endete die Bebauung dann doch. Gegend pur fängt an. Hierher verirrt sich kaum ein Tourist. Allerdings steht in einigen Reiseführern, dass man in den natürlichen Badewannenbaden kann. Kann man. Wenn man Ahnung von dem hat, was man tut, überlebt man sogar. Einige Touristen, die wohl meinten, das bisschen Atlantik sei doch auch nur Wasser, und das habe ihnen noch nie geschadet, durften herausfinden, ob es ein Leben nach dem Tod gibt. Die Brandung sollte man ernst nehmen.
Der einzige Versuch, in der Ödnis der Rubicon-Ebene ein Hotel zu bauen, gammelt weithin sichtbar vor sich hin. Für den Abriss scheint sich niemand zuständig zu fühlen. Das gilt auch für die Schwarzbauten, von denen es auf dem Gebiet der Gemeinde Yaiza viele gibt. Seit September 2007 wurden fast 8000 Betten als illegal deklariert - was etwa elf Prozent aller Betten ausmachte. Der ehemalige Bürgermeister José Francisco Reyes stand zum Zeitpunkt meiner Wanderung wegen Korruptionsverdachts unter Anklage. Nach vielen Jahren der Ermittlungen sind bislang lediglich der Ex-Inselpräsident Dimas Martin sowie der ehemalige Bürgermeister von Yaiza zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden (Stand: 2014). Für Manrique-Schülerin Bettina Bork hat Lanzarote nur eine Perspektive: "Meines Erachtens müsste man auf die nächste Touristik-Börse gehen und sagen: wir sind die ersten, die erkennen, dass man was falsch gemacht hat, wir reißen einen Teil ab und machen da wieder Grün hin.“
Von den Salinen zum Kratersee
Salinen gab es auf Lanzarote früher viele. Übrig geblieben sind nur die Salinas de Janubio und die Salinas de los Agujeros bei Guatiza. Sie wurden mit finanzieller Hilfe aus Brüssel restauriert und sind heute als Sitio de Interés Científico („Ort von wissenschaftlichem Interesse“) geschützt. Bis in 1970er Jahre wurden hier bis zu 10.000 Tonnen Meersalz pro Jahr mit zeitweise mehr als einhundert Arbeitskräften gewonnen. Dieses Salz wurde hauptsächlich von einheimischen und spanischen Fischfangflotten zur Konservierung von Fisch genutzt. Am Strand davor spielte ich Wettrennen mit dem Atlantik. Nur Lebensmüde gehen hier baden.
Die Los Hervideros gaben sich in diesem Frühjahr kreuzbrav. Sie können auch anders. Die Aufnahme entstand im Vorjahr. Während meiner Wanderung erlebte ich sie unter dicker Wolkendecke im Schwarzweißmodus. Nebenbei: Auch auf der traumhaft schönen Insel Lanzarote ist Mistwetter Mistwetter – dicke Wolken sind dabei das geringste Übel. Wer Pech hat, darf den Kalima erleben. Das ist eine Art Fönwetter mit Puderzuckersand. Zur Sahara sind es nur schlappe hundert Kilometer – weshalb nicht nur Sandkörner den Weg hierher finden. Deshalb gehörte an den Stränden der Ostküste das Geknatter der Frontex-Überwachungshubschrauber zum Strandalltag.
Nirgends zeigt die „Perla Negra“ mehr Farbenpracht als in der kleinen Bucht südlich des Fischerdörfchens El Golfo mit ihrem smaragdgrünen See Charco de los Clicos. Leider gilt auch hier Wolf Schneiders Satz: „Wo es schön ist, sind die Touristen. Und dann ist es nicht mehr schön.“ Allerdings hilft geschicktes Timing: Wenn der Pauschaltourist das Buffet stürmt lärmt hier nur der Atlantik.
Hinter dem Dorf El Golfo wollte ich die in meinem Wanderreiseführer (Rother!) beschriebene Routa del Litoral gehen, die in Atlantiknähe am Westrand durch den Nationalpark führt. Es gibt abwechslungsreichere Routen, auch weniger anstrengende. Aber ich wollte nun mal rundum die Insel laufen. Selten lasse ich mich abbringen von dem, was ich mir vorgenommen habe. Leider hatte ich für dieses Mal die Rechnung ohne die Parkwächter gemacht. Nun aber von vorne: Eine Beschilderung gab es nicht. Daher lief ich dem plausibelsten Trampelpfad (von denen es endlos viele gab) nach. Die Bewegungsmelder sah ich. Beunruhigt haben sie mich nicht. "Donde es!", erschallte es kurze Zeit später. Ich versuchte, dem wackeren Kämpfer für Natur und Umwelt unter Vorzeigen meines Reiseführers klarzumachen, wo ich langgehen will. Keine Chance. Er wies vage Richtung Uga und bedeutete mir uncharmant, dass ich mich dahin verpissen soll. Ich habe nicht alles verstanden. Mein Spanisch ist ausbaufähig. Sein ausgestreckter Arm sowie Mimik und Tonlage waren jedoch nicht misszuverstehen. Ich kraxelte über Lavafelder Richtung Uga. Das war nicht vergnügungssteuerpflichtig. Kaum eine halbe Stunde später, angefressen und mit meinen Kräften am Ende, brüllte mich ein Geländewagenfahrer an, der wie aus dem Nichts zwischen den Lavafelsen erschien. Der Parkwächter hatte die Umweltbehörde auf mich gehetzt! Würde demnächst der Inselpräsident persönlich auftauchen? Vorerst kümmerte sich sein Beamter um mich. Der lässt mich die Kraft seiner Autorität spüren und belehrt mich, dass das Gelände (er fuchtelt mit den Armen Richtung Horizont) europäisches Vogelschutzgebiet sei. In dieser Ödnis Vögel? Außer einigen gewöhnlichen Seeschwalben hatte ich nichts gesehen, was einem Federvieh auch nur entfernt ähnlich sah. Dennoch: Betreten verboten. Wo das stand? Vermutlich auf einem schwarzen Schild mit schwarzer Schrift im Schatten eines schwarzen Vulkanfelsens. Zu Diskussionen war der wackere Vogelschützer ohnehin nicht aufgelegt. Hier war er der Chef. Basta! Statt dessen spulte er sein Programm ab: Ausweiskontrolle, Ablichtung desselben, Androhung martialischer Strafen, Platzverweis. Huch? Gerade ich ein Umweltsünder? Wieder zu Hause schreib ich dem Repräsentanten des WWF eine Mail. Antwort: Gutes Personal ist schwer zu finden. Wie aber soll nachhaltiger Tourismus funktionieren, wenn die Inselregierung Leute einstellt, die sich solche Späße aus Langeweile erlauben dürfen? Nachtrag: Während wir in Deutschland mit der Ausweisung von Natura 2000 Schutzgebieten hinterherhinken, auch weil unsere Behörden sich die Mühe der Bestandsaufnahme machen, ehe entschieden wird, sieht man das in Spanien eher locker. Man stellt im günstigsten Fall Schilder auf und meldet das neugewonnene Schutzgebiet nach Brüssel. Im ungünstigsten Fall – so hier – verzichtet man auch darauf. Auf die Schutzgebietsmeldung allerdings nicht. Was für eine gegrillte Scheiße!
Montañas del Fuego – das Familiensilber
1730 kam es auf Lanzarote zu schweren Vulkanausbrüchen. Am 1. September bildeten sich auf einer Strecke von 18 Kilometern 32 neue Vulkane. Die Ausbrüche wurden vom Pfarrer der Gemeinde Yaiza, Don Andrés Lorenzo Curbelo, detailliert dokumentiert. Sie dauerten 2.053 Tage und endeten im Jahr 1736. Die Lava hat rund ein Viertel der Inselfläche unter sich begraben, darunter die fruchtbarsten Böden der Insel und mehrere Dörfer und Gehöfte. Statt dessen entstanden hundert neue Vulkane, die Montañas del Fuego (Feuerberge). 1974 wurde hier der Timanfaya-Nationalpark gegründet.
Am Rande des Nationalparks biwakierte ich auf einem windigen Hügel. Scheinwerfer von der Stärke einer Supernova irrten durch die stockfinstere Nacht auf der Suche nach unerlaubten Eindringlingen. Noch vor Sonnenaufgang trieb mich die Kälte aus dem Schlafsack. Und das war gut so. Seit Jahren träumte ich von diesem Sonnenaufgang über den Feuerbergen. Dank der beiden Vollpfosten musste ich rund um den Park laufen … ¡Muchas gracias!
Von dem genialen Aussichtspunkt abgesehen war die Alternative zur Ruta des Litorals nicht vergnügungssteuerpflichtig.
Westküste
Zwischen den Feuerbergen und dem Famara-Massiv liegt die Sandwüste El Jable, die sich nach winterlichen Regenfällen in ein riesiges Blütenmeer verwandeln kann.
Vor dem Sportclub La Santa, der einzigen Hotelanlage an der Westküste, kamen mir Grüppchen in Sportkleidung mehr oder weniger elegant trabend entgegen. Nein, der Iron-Man Lanzarote war das nicht.
In Tenezara stehen die Datschen der Einheimischen für die Sommerfrische. Nur wenige Insulaner leben hier das ganze Jahr über. Vor dem starken Wind verkroch ich mich in eine Erdkuhle und zog mir den Biwaksack über die Ohren.
Am nächsten Morgen stieg ich hinter Tenezara zweihundertachtzig Meter auf einem Trampelpfad den Steilhang des Vulkans hinauf und genoss den Blick auf die Lavafelder.
Beim Abstieg waren in der Ferne schon die Famara-Klippen zu sehen.
Auf einem Pfad parallel zum Meer wanderte ich Richtung Klippen. Davor liegt die Sandebene El Jable, einst die Kornkammer Lanzarotes.
El Jable endet am Playa de Famara, einem Mekka der Wellenreiter und Kitesurfer. Das Baden und Surfen ist an den meisten Tagen im Jahr (auflandiger Wind) verboten. Allerdings schert sich niemand um die rote Flagge.
Wegen der vielen Sandbänke entstehen hier Brandungsrückströmungen („Riptides“), die selbst geübte Schwimmer aufs Meer hinausziehen. Auch an diesem Strand hilft es, wenn man weiß, was man tut. Die Strömungen sind meist nur wenige Meter breit. Seitlich raus schwimmen!
Hinter dem Strand führt eine Straße in die Klippen. Der Weg wurde ursprünglich angelegt, um das Kliff nach Wasser anzuzapfen und eine Landverbindung zu den Salinen von El Río zu schaffen. Dabei hatten die Straßenbaumeister ihre Rechnung ohne das Kliff gemacht. Es schüttete den Weg ständig zu. Irgendwann wurde das Wegräumen zu lästig und teuer. Der luftige Klippenweg erfordert daher, Felsrutsche und weggebrochene Wegstrecken zu umklettern – sagt der Rother Wanderführer. Mein Weg endete folglich kurz hinter dem letzten Gehöft, das kläffende Hunde wie eine Burg verteidigten. So blieb mir nur der Blick vom Strand auf den Klippenweg. Das reichte völlig aus, um bei mir Schwindel zu erzeugen. Auf einer Schotterpiste lief ich hoch nach Teguise, der alten Inselhauptstadt.
Völlig erschöpft erreichte ich diese einsame Kirche vor Teguise. Sie hatte einen Vorhof mit Sitzbänken drumherum. Die Mauer schützte mich vor dem kalten Wind. Trotzdem erlebte ich dort meine bislang kälteste Nacht auf Lanzarote. Kaum aufgewacht und Gott sei dank schon bepackt, begann die Szene lebendig zu werden. Wagen fuhren vor, Stühle wurden ausgeladen. Hier sollte heute etwas Großes steigen. Ich machte mich vom Acker.
Über den Klippen: der Inselnorden
Der Norden Lanzarotes ist landwirtschaftlich geprägt. Angenehm fällt die Abwesenheit touristischer Einrichtungen auf. Allerdings gibt es in Arietta inzwischen Bungalowanlagen. Verwaltungsmäßig gehört der Norden zum Gemeindegebiet von Haría.
Der Penas del Chache ist mit 672 Metern die höchste Erhebung der Insel und liegt unmittelbar an der Klippe. Ein Militärposten hält sie besetzt. Schade eigentlich. Dahinter liegt Haría tief unten im „Tal der tausend Palmen“. In Schleifen führt die Straße hinunter. Ich hatte allerdings wenig Lust, meine Kräfte mit Reisebussen zu messen. Also nahm ich den Pfad durch den Barranco, der vom Mirador del Bosquecillo hinunter ins Tal führt. Hier stehen die einzigen Pinien der Insel – jämmerlich kleine Büsche, die ihre Existenz den Klippen zu verdanken haben, die ihnen das Wasser aus den Passatwolken zapfen.
In Haria übernachtete ich auf einer Wiese. Am nächsten Morgen machte sich die Sonne rar. Das kommt auch auf Lanzarote vor. Insbesondere hier oben, kurz hinter den Klippen, die die Wolkeneinfangen. Viele Zugezogene leben hier. Manrique verbrachte hier seine letzten Jahre. Warum? Weil hier Lanzarote fernab der Strände noch mehr bei sich ist als anderswo.
Nach Haria führte mich meine Wanderung an die Nordspitze Lanzarotes. Ich stieg hinab nach Orzola, dem alten Fischerdorf am Fuß des Famara-Gebirges. Es ist das Tor zur Insel La Graciosa, die den Massentourismus dank einer streitbaren Ortsbürgermeisterin unbeschadet überstanden hat.Tagestouristen und zwei Pensionen, mehr ist hier nicht. Hinter Orzola gibt es Strände, die zum niederknien sind. Am ersten ließ ich mich nieder. Neben mir baute ein Schwarzafrikaner mit seinem kleinen Sohn in einer der von Touristen angehäuften Windschutzburgen einen Behelfsunterschlupf auf. Danach schleppte er Wasserkanister an. Scheiße, dachte ich. Mitten rein in eine Bullenaktion. Als ich am nächsten Tag aufwachte, war er weg. Der Schleuser hatte wohl mitbekommen, dass niemand kommen wird. Oder ich hatte nicht mitbekommen, dass da jemand kam. Oder seine Leute sind ertrunken.
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Am nächsten Morgen bekam ich Besuch. Wir freundeten uns ein wenig an. Kekskrümel spielten dabei eine prominente Rolle.
Die weißen Strände von Orzola liegen im Malpais de la Corona. Die Lavalandschaft entstand vor etwa 5000 Jahren bei einem Vulkanausbruch des Montana de la Corona. Die weißen Sandflecken (Caletones) leuchten wie kleine Inseln aus der Lavalandschaft hervor. Sie sind nur durch die Straße nach Arrieta miteinander verbunden. Auf der war im Frühjahr glücklicherweise nichts los.
Die felsige Küste in Punta Mujeres (Kap der Frauen) kurz vor Arrieta lässt sich bequem auf der Promenade erwandern.
In Arrieta erwartete mich der achthundert Meter lange Naturstrand, die Playa de La Garita. Ich verließ Arrieta mit einem letzten Blick auf den Montaña de la Corona, den ich am Tag zuvor umrundet hatte.
Auf einsamen Küstenpfaden erreichte ich Charco del Palo, der als als einziger Ort seit dem 4. Dezember 1980 eine offizielle FKK-Genehmigung hat und damit das Nudistenzentrum der katholischen Insel Lanzarote ist. Die Siedlung ist ein Touristenort. In der Einöde hat ein großer FKK-Reiseveranstalter zwei Ferienanlagen errichtet. Daneben gibt es ein umfangreiches Angebot an privaten Bungalows und Apartments, die als Ferienunterkünfte vermietet werden. Danach erreichte ich hinter der Urbanicazión Los Cocoteros die Salinas de los Agujeros südlich von Mala Die frühere Salinenwirtschaft ist auf Lanzarote fast völlig verschwunden. Nur die Salinas de Janubio im Westen werden auch noch bewirtschaftet. Auf schmalen und einsamen Pfaden lief ich weiter zu einem der drei Touristenzentren Lanzarotes: Costa Teguise. Das große spanische Industrieunternehmen Unión Explosivos Riotinto, noch unter der Führung des späteren spanischen Ministerpräsidenten Leopoldo Calvo-Sotelo, kaufte Ende der 1960er Jahre in der Ebene an der Ostküste ein Grundstück von rund 12 Milliarden Quadratmetern um einen Touristenort zu erschaffen, den man Urbanización Costa de Teguise taufte. Es sollte das touristische Herzstück der Insel werden. Diese Anfang der 1970er Jahre begonnene Retortenstadt wurde eigens für den Tourismus in der Gemeinde Teguise aufgebaut. Seit ich vor vielen Tagen Playa Blanca im Inselsüden verlassen hatte, würde ich jetzt nach über achtzig Wanderkilometern, wieder auf Touristen treffen, die von Lanzarote überwiegend „sun, beer and beach“ erwarten, wie das eine Repräsentantin einer großen britannischen Reisegesellschaft mir gegenüber resigniert und unter vier Augen vor einigen Jahren gesagt hat.
Ostküste – Touristenzentren bis zum Abwinken
Die Ostküste ist ab Costa Teguise großflächig besiedelt. Im Satellitenbild ist das sehr gut zu sehen. An die Touristenhochburg schließt sich nahtlos die Inselhauptstadt Arrecife an, gefolgt von der Touristenhochburg Puerto del Carmen. Danach dünnt die Bebauung aus. Schließlich folgt Puerto Calero. Letzte Siedlung vor den unbesiedelten Los Ajaches ist Playa Quemada.
Costa Teguise wurde Anfang der 70er Jahre für den Tourismus an der Ostküste der Gemeinde Teguise aufgebaut. An dessen Entstehung war in den ersten Jahren der bekannte kanarische Architekt und Umweltschützer César Manrique entscheidend beteiligt. 1977 entwarf er die Garten- und Schwimmbadeanlagen des Fünf-Sterne-Hotels Melia Salinas, dessen Architekt Fernando Higueras war. Die weißen Gebäude des neuen Ferienortes solltenim kanarischen Stil, mit grünen oder braunen Fenstern, entstehen, und die Anzahl der Stockwerke war begrenzt. Es ist noch möglich, das von ihm als Feriendorf entworfene Pueblo Marinero mit seinen höchstens zweietagigen Gebäuden in der Avenida de las Islas Canarias im Zentrum von Costa Teguise sehen. An vielen Stellen hat sich das Bild gewandelt und viele große Hotels wurden errichtet. An der Costa Teguise wohnen kaum Einheimische, dafür aber sehr viele Touristen. Man gibt die Zahl der Einwohner mit 6.324 (Stand:2008) an. Es gibt lange Einkaufsstraßen mit zahllosen Restaurants, Einkaufszentren und Autovermietungen. Ein Stadtzentrum sucht man vergebens. Ein Ort des Massentourismus, wie man ihn überall auf der Welt findet (Hurgada, Karibik, Malediven ...), wo sich das Klima dafür eignet und der Strand der Weg zum Traumstrand nicht allzu viel Mühe macht. Austauschbar. Neuerdings (2017) mit dem Markenzeichen versehen, dass es hier - wie auf ganz Lanzarote - noch keinen Anschlag gab. Mit dem von Manrique gewollten nachhaltigen Tourismus hat das nichts mehr zu tun.
Die Inselhauptstadt kann nicht für sich beanspruchen, der schönste Ort der Insel zu sein. Am Stadtstrand der Inselhauptstadt Arrecive legte ich nur eine kurze Pause ein. Idylle sieht anders aus. Der Turm rechts im Bild ist das renovierte Nobelhotel der Inselhauptstadt.
Was sich die Inselregierung unter Strandspaziergängen vorstellt, erlebte ich hinter Arrecife. Von Arrecive führte mich die Strandpromenade weiter nach Playa Honda. Die Retortensiedlung liegt direkt am Flughafen. Das macht Wohnen vergleichsweise billig. Eine Bekannte hat ihre teure Butze in Puerto del Carmen verkauft und ist hierhergezogen. Man muß Fluglärm schon mögen, um das zu tun. Und hinter den Wohnvierteln liegt das größte Gewerbegebiet der Insel. Allerdings auch das größte Einkaufszentrum.
Die Promenade führte mich am Flughafen vorbei. Ein Paradies für Planespotter. Die Landebahn ist nur wenige Meter vom Ufer entfernt. Wer schon immer Mal erfahren wollte, wie es ist, wenn einem ein Düsenflugzeug den Scheitel zieht und nicht das zweifelhafte Glück hat, in Ratingen bei Düsseldorf zu leben, der muß hier Urlaub machen. Nebenan gibt es das passende Hotel dazu. Vier Sterne.
Im ehemaligen Fischerdorf Puerto del Carmen wird immer noch hart gearbeitet. Nicht mehr auf hoher See allerdings. Umso mehr an der Erholung. Das ist so anstrengend, dass viele ihre Hüllen fallen lassen. Wer einen Schmerbauch hat, der zeigt ihn hier auf der Promenade gerne. Das ist- vorsichtig gesagt in den seltensten Fällen schön anzusehen. Nein, dann doch lieber Ibiza, wo die Tunten in Netzstrümpfen flanieren und Mädels aus Castrop-Rauxel aussehen wie Nutten. Oder wie Lady Gaga. Da ist wenigstens noch Körpergefühl, Inszenierung, Ästhetik. Wie schräg auch immer sie ausfällt: Der zweifelhaften Ästhetik unbekleideter Bierbäuche ist sie allemal überlegen. Das Lebensgefühl auf dem Ballermann hat längst auch die kleine ehemals exotische Kanareninsel Lanzarote erreicht. Da hilft kein Zedern mehr: Der Proll hat Lanzarotes Touristenorte so fest im Griff wie alle anderen Maassentourismusdestinationen. Es ist zum heulen! Ich will, das so was (wie in Barcelona) verboten wird. Es ist respektlos gegenüber den Insulanern, die meist streng katholisch sind, es ist aber auch respektlos gegenüber den wenigen zarten Gemütern, die hier einen angenehmen Urlaub verbringen wollen.
Damit der Urlauber sich richtig heimisch fühlen kann, haben sie ihm in Puerto del Carmen ein Einkaufszentrum gebaut, das so auch in Oberhausen im Pott oder anderswo in Europa stehen könnte. Das sie – vermutlich ungewollt unbeholfen zynisch - „Biosphera“ nennen. Marketing kann nach hinten losgehen. Die das merken würden, verbringen ihren Urlaub allerdings nicht in Puerto del Carmen. Manrique würde ... Nein: Würde er nicht. Er zog sich nach Haria zurück.
Puerto Calero ist die Idee des Herrn Calero. Eine noble Destination sollte die Urbanisation rund um den Seeglerhafen werden. Man kann dazu stehen, wie man will. Geglückt ist das Edelprojekt nur bedingt. Es wird gebaut, gebaut gebaut. Zwei große Hotelkomplexe inzwischen auch. Exklusiv sind inzwischen nur die Preise im einzigen Supermarkt.
Hinter dem Sporthafen beginnt die Ödnis. Weit und breit keine Touristen mehr. Stille. Nur die Brandung unter mir. Eine Stunde später erreichte ich endlich Playa Quemada. Außer Klippen und einem Kiestrand vor den Toren des unendlich öden Naturparks gibt es da nichts. Da wollen sie nicht wirklich hin!
Eben! Meine Rundwanderung endete, wo sie begann: am Fuß der Los Ajaches. Ich nahm ein Bad, radebrechte mit meinem neuen Bekannten von der Bruchbude nebenan und erholte mich noch ein paar Tage, ehe mich meine mittelhessische Heimat mit dem größten Vulkan Europas, dem Vogelsberg, wieder hatte.
Lanzarote im Web